Das Knochenmark ist das rote, schwammartige Gewebe in der Mitte der großen Knochen. Im Knochenmark werden alle Zellen des Blutes, wie die weißen Blutkörperchen (Leukozyten), die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und die Blutplättchen (Thrombozyten), gebildet. Diese verschiedenen Blutzellen entstehen durch komplizierte Teilungs- und Ausreifungsprozesse von Mutterzellen (Stammzellen) und werden dann im reifen, funktionsfähigen Zustand aus dem Knochenmark in das Blut ausgeschwemmt. Im Blutstrom haben die Zellen ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Die weißen Blutkörperchen spielen eine wichtige Rolle beim Schutz vor Infektionen. Die roten Blutkörperchen transportieren den Sauerstoff. Die Blutplättchen haben eine entscheidende Funktion bei der Blutgerinnung und beim Wundverschluss nach Verletzungen.
Bevor aus den Stammzellen funktionsfähige Blutzellen entstehen, müssen zahlreiche Reifungs- und Teilungsprozesse durchlaufen werden. Durch die Zellreifung entstehen aus den Stammzellen zunächst unreife Vorläuferzellen, die so genannten Blasten. Diese Blasten teilen sich und reifen weiter aus. Am Ende entstehen auf diese Weise die funktionsfähigen roten und weißen Blutkörperchen sowie die Blutplättchen. Bei Patienten mit einem myelodysplastischen Syndrom (abgekürzt MDS) sind die komplizierten Ausreifungs- und Teilungsprozesse im Knochenmark gestört. Durch die Störung der Ausreifung wachsen Zellen heran, die später nicht mehr ihre volle Funktion erfüllen können. Die gestörte Funktion der Knochenmarkzellen und damit auch der Blutzellen
geht mit Veränderungen der Zellen einher, die an Ausstrichpräparaten von Blut und Knochenmark unter dem Mikroskop erkannt werden können. Diese Veränderungen werden als Myelodysplasie bezeichnet. Davon leitet sich der Name myelodysplastische Syndrome (MDS) ab. Durch die gestörten Teilungsprozesse verändert sich häufig auch die Gesamtmenge der Zellen im Knochenmark, die sogenannte Zelldichte. Je nachdem wie schwer die Teilungsfunktion im Einzelfall beeinträchtigt ist, kann im Knochenmark eine hohe, eine normale oder eine erniedrigte Zelldichte beobachtet werden.
Eine weitere Folge der gestörten Ausreifung ist eine zunehmende Zahl von unreifen Vorläuferzellen (Blasten) im Knochenmark, die nicht mehr weiter ausreifen können. Im gesunden Knochenmark sind immer auch ein paar unreife Zellen vorhanden. Dieser Anteil liegt normalerweise aber unter 5%. Eine Zunahme der sehr unreifen Zellen bei einem MDS vollzieht sich unterschiedlich schnell, z.T. sehr langsam über Monate, z.T. auch nur über Wochen. Die Blasten werden bei einer Zunahme im Knochenmark auch in das Blut ausgeschwemmt, wo sie normalerweise nicht zu finden sind. Da eine zunehmende Ansammlung an Blasten ein Fortschreiten der Erkrankung anzeigt, wird der Anteil der Blasten in Blut- und Knochenmark für die Einteilung des MDS verwendet (s.u.).
Myelodysplastische Syndrome gehen nach einer gewissen Zeitdauer in eine akute Leukämie (Blutkrebs) über. Das heißt, die unreifen Vorläuferzellen bzw. Blasten nehmen einen so großen Anteil an den Knochenmarkund Blutzellen ein, dass das Zellbild nicht mehr von einer Leukämie zu unterscheiden ist. Aus diesem Grund wurden myelodysplastsche Syndrome früher auch als Vorstufe zur Leukämie oder schleichende Leukämie bezeichnet.